Unseriöse Wildtierpflege und problematische Webauftritte

Niedlich oder ein Beispiel unseriöser Wildtierpflege? Problematische Webauftritte findet man leider überall.
Quelle: n-tv.de

Der schlechte Ruf der Wildtierpflege

In vielen Staaten gibt es gigantische, gut finanzierte Auffangstationen, die jährlich Unmengen an Wildtieren versorgen. Medizinische Standards sind hoch. Forschungseinrichtungen erkennen das Potential, das derartig bequem gewonnene, große Datenmengen mit sich bringen.

Im deutschsprachigen Raum hingegen steckt die Idee „Auffangstation“ noch in den Kinderschuhen. Wie ernst Wildtierpflege genommen wird merken wir u.a. an den vielen Anfragen, ob man uns nicht einmal für ein Wochenende beim Füttern unterstützen kann. BiologInnen, WildtierökologInnen und VeterinärmedizinerInnen stehen Auffangstationen oft sehr skeptisch gegenüber. Hat es überhaupt einen Sinn, Wildtiere zu pflegen? Woher haben die ausführenden Personen das nötige Fachwissen? Werden die Tiere medizinisch betreut? Benötigen die aufgenommenen Wildtiere überhaupt Hilfe? Sind WildtierpflegerInnen nicht einfach nur Leute, die süße Tierkinder päppeln wollen?

Woher kommt der schlechte Ruf der Wildtierpflege und ist er vielleicht hausgemacht?

Die Rolle von Social Media Auftritten

Die Reichweite geht stark mit der Tageszeit der Veröffentlichung einher: Das ist eine der Lehren, die wir aus unserer langjährigen Betreuung von Social Media Plattformen gezogen haben. Eine andere wäre, dass Beiträge über Eichhörnchenkinder meist deutlich besser abschneiden als Beiträge über Jungvögel.

Unschlagbar sind kurze Beiträge, in denen unsere PflegerInnen etwas Niedliches mit den Tieren machen, etwa ein Eichhörnchenbaby waschen. Eine verständliche Reaktion unserer Follower. Denn wer freut sich – neben all den Negativnachrichten im Newsfeed – nicht über etwas Schönes? Besonders verlockend wäre es also, mehr solcher Postings zu veröffentlichen. Toll sind z.B. Videos, in denen tapsige Wildtierkinder mit Aufzuchtsmilch gefüttert werden, ungeachtet dessen, dass diese schon längst in der Lage wären, selbst aus der Schüssel zu trinken. Einfach, weil sie gerade in einem niedlichen Alter sind, wo sie schon die Augen offen haben und mit Fell überzogen sind. Das sieht für die meisten Leute süßer aus als noch nackte, runzlige Tierkinder. Wie weit ist man also bereit, für Reichweite zu gehen?

Eines haben fast alle Auffangstationen und Tierschutzvereine gemeinsam: Uns mangelt es an Geld. Und Social Media Plattformen sind ein mächtiges Werkzeug, um an Reichweite und damit schnell an finanzielle Mittel zu kommen.

Wildtierpflege – eine besondere Verantwortung

Wildtierpflege ist eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe. Es gibt aus gutem Grund zahlreiche Gesetze auf EU-, Bundes- und Landesebene, um das Wohl des Individuums, aber auch den seriösen Umgang mit zum Teil streng geschützten Arten sicherzustellen. Diese Gesetze sind bei Weitem nicht perfekt und teilweise widersprüchlich. Dennoch liefern sie zumindest einen Rahmen, an dem man sich orientieren kann.

Eine Auswahl:

  • FFH-Richtlinie
  • Tierschutzgesetz
  • Naturschutzgesetze
  • Tierärztegesetz
  • Tierheimverordnung
  • Tierhaltungsverordnung
  • Jagdgesetze
  • Lebensmittelgesetz

Schließlich spielt neben dem Tierschutzgedanken, bei dem das Wohl des Individuums im Zentrum steht, in der Wildtierpflege stets der Artenschutz eine wichtige Rolle. Ziel der Pflege ist immer, in der Natur überlebensfähige Wildtiere in ihrem natürlichen Lebensraum auszuwildern. Dabei gibt es jedoch weit mehr zu beachten als die Fitness des ausgewilderten Pfleglings. Denn die Aufnahme und Auswilderung eines Wildtiers kann auf die Gesamtpopulation dieser Tierart entweder keine Auswirkungen haben, oder einen positiven bzw. negativen Effekt. Letzteren gilt es unbedingt zu vermeiden.

Möglichkeiten, etwas falsch zu machen, gibt es jedenfalls viele.

Und das bereits ohne eine katastrophale Vorbildwirkung durch unseriöse Postings. So könnte man fortpflanzungsfähige Tiere mit erblichen Behinderungen auswildern, die ihre Einschränkung an die Folgegenerationen weitergeben. Man könnte Wildtieren unsachgemäß Medikamente verabreichen und die Entstehung von Resistenzen fördern. Diese könnten letztendlich auch dem Menschen schaden. Auch die richtige Auswilderung von Wildtieren ist herausfordernd. Denn einerseits erhöht man die Überlebenschance der Pfleglinge durch eine schonende, schrittweise Rückführung (über Auswilderungsvolieren) deutlich. Andererseits sollte die Auswilderung möglichst nah am Fundort stattfinden. Eine Auswilderung abseits vom Fundort ist jedenfalls mit realen Gefahren verbunden: In eine Population könnten neue, den Tieren noch fremde Krankheitserreger eingeschleppt werden. Weiters könnten Veränderungen auf genetischer Ebene stattfinden, die sich nicht im äußeren Erscheinungsbild der Tiere abzeichnen und dadurch länger unbemerkt ablaufen. Vielleicht werden dadurch sogar Artbildungsprozesse unterbunden.

Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas gut meinend schlecht zu machen und gleichzeitig so wenig Forschung, die sich damit auseinandersetzt. Trotzdem sind all diese Risiken etwas, was jede professionelle Auffangstation immer im Hinterkopf behält und zu minimieren versucht.

Unsere Arbeit endet eben nicht mit der erfolgreichen Pflege.

Auffangstationen müssen stets das Wohl des Individuums in Perspektive zu den Auswirkungen auf die Gesamtpopulation setzen. Bei jedem einzelnen Pflegling sind die oben genannten Gefahren zu bedenken. Wir dürfen  daher auch dann, wenn wir rein ehrenamtlich arbeiten, die Wildtierpflege nur geeignetem und geschultem Personal überlassen.

Vor allem müssen wir großen Wert darauf legen, welchen Umgang mit Wildtieren wir nach außen vermitteln und wozu wir Leute animieren wollen.

Problematische Webauftritte

In den letzten Jahren häufen sich Social Media Netzwerke und Webseiten zum Thema Wildtierpflege. Zahlreiche Pflegeanleitungen und Bestimmungshilfen finden sich im Netz, die es Privatpersonen erleichtern, selbst Hand anzulegen und viele Leute in Sicherheit wiegen, alles laut Anleitung richtig zu machen. Sie lassen Wildtierpflege wie etwas aussehen, was jeder einmal zu Hause versuchen kann.

Ist es zielführend, einem insektenfressenden heimischen Wildtier Avocados zu verfüttern und das auch noch öffentlich zu posten?
Quelle: imgur.com

Wir bekommen dann die andere Seite der Medaille zu Gesicht: Uns werden zahlreiche Wildtiere gebracht, die trotz ausführlicher Internet-Bestimmungshilfe falsch bestimmt und daher auch falsch ernährt wurden. Ein andermal übergibt man uns zwar richtig bestimmte und artgerecht ernährte Wildtiere, aber dafür mit alten, schlecht verheilten Verletzungen. Diese wurden von den FinderInnen übersehen oder entstanden in deren Pflege durch gut gemeintes, aber unsachgemäßes Handling. Häufig sind bei Pfleglingen, die lang und unter großem Aufwand von den FinderInnen gepflegt wurden, auch weit fortgeschrittene Krankheiten. Mit entsprechender Erfahrung hätte man diese früher bemerken und behandeln können.

Wer trägt hier die Verantwortung?

Verzweifelte FinderInnen, die keine Auffangstation erreichen und sich daher im Internet Hilfe suchen, oder Plattformen, die Pflegeanleitungen von streng geschützten Wildtieren für Laien veröffentlichen? Oder gar TierärztInnen, denen Wildtiere zur Untersuchung gebracht werden und die diese den FinderInnen wieder mitgeben in dem Wissen, dass es sich um Laien handelt? Wohlgemerkt: Laien, die Wildtiere eigentlich gar nicht pflegen dürften.

Doch das Ganze ist leider noch zu übertreffen: TierärztInnen posten Wildtiere, die auf Haustieren herumklettern, Auffangstationen posten zahme Langzeitpfleglinge, die sich mit den PflegerInnen Kaffee und Kuchen teilen und Pflegestellen stapeln Igel ganz offen in Schuhkartons. Auf Instagram boomen Beiträge von Wildtieren, die angeblich erfolgreich von einem Haustier (meist Hund oder Katze) adoptiert wurden. Es handelt sich um absolut unprofessionelles Auftreten von Anlaufstellen, die es eigentlich besser wissen müssten. Kontrolle scheint kaum stattzufinden. Wir stellen uns und allen anderen WildtierpflegerInnen daher eine zentrale Frage:

Was wollen wir vermitteln?

Wollen wir – Auffangstationen, Tierheime, TierärztInnen – vermitteln, dass Einzelhandaufzuchten und Dauerpfleglinge unproblematisch sind? Dass man Wildtiere bedenkenlos anfassen und wie Haustiere halten kann? Dass unser Essen artgerechte Nahrung für Wildtiere ist? Soll ein Beitrag aussagen, dass man ohne Weiteres Wildtiere mit jenen Haustieren vergesellschaften kann, die diese Wildtiere in freier Wildbahn fressen würden? Oder, dass man mit einem Wildtier vom selben Teller essen kann? Dass streng geschützte Arten in den Händen von Laien gut aufgehoben sind? Wollen wir vermitteln, dass es okay ist, Wildtiere in Kleintierpraxen frei herumlaufen zu lassen?

Wollen wir das wirklich?

Gerettete oder fehlgeprägte Krähe?
Quelle: www.real-fix.com

Vorbildwirkung

Mittlerweile können wir leider aus voller Überzeugung sagen: Der schlechte Ruf und die Skepsis gegenüber Wildtierpflege im deutschsprachigen Raum sind zum Teil hart erarbeitet und wohlverdient.

Aber es geht auch anders. Seit Vereinsgründung hat die Wildtierhilfe Wien verschiedene themenspezifische Workshops und Vorträge abgehalten. 2019 waren es beispielsweise mehrere  Schulprogramme zum Thema Igel. Für uns ist dabei immer klar, dass wir keine Wildtiere mitnehmen und vorführen. Wir wollen nicht vermitteln, dass man Wildtiere einfach so anfassen, geschweigedenn stressfrei transportieren kann. Auch, wenn das in Ausnahmefällen bei sehr entspannten Pfleglingen vielleicht sogar möglich wäre. Wir wissen, dass das Anfassen von Wildtieren für Kinder ein Erlebnis ist, dennoch steht für uns der erzielte Lerneffekt nicht über den Interessen der Wildtierpflege, des Tier- und Artenschutzes. Auch, wenn es manchmal unbequem ist, diesen Standpunkt konsequent zu vertreten: Wir sind davon überzeugt, dass man Wissen und Begeisterung für Wildtiere auch auf einem unproblematischeren Weg vermitteln kann.

Genau so halten wir es auch mit unserem Webauftritt. Wir können nicht auf unseren Social Media Plattformen für ein paar Likes und Follower Wildtierpflege auf eine Weise repräsentieren, die im Widerspruch zu unserer Professionalität und unseren Fachkenntnissen steht.

Wir selbst sehen uns natürlich auch bei Weitem nicht als perfekt an. So haben wir erst 2019 einen Fledermausbeitrag veröffentlicht, wo wir beim Handling keine Handschuhe trugen und auch nicht darauf hinwiesen, dass diese beim Umgang mit Fledermäusen absolut notwendig sind. Wir sehen uns selbst in ständigem Konflikt zwischen der Notwendigkeit öffentlicher Wirksamkeit und tatsächlichem Tierschutz.

Es ist auch für uns ein stetiger Lernprozess.

Was sollte sich ändern?

In einer Welt, in der natürliche Lebensräume zunehmend eingeengt und zerschnitten werden, kommt es unweigerlich und immer mehr zu Konfrontationen mit in Not geratenen Wildtieren. Die wichtige Rolle von Wildtierauffangstationen ist aktueller denn je.

  • Wir wünschen uns mehr offizielle und regelmäßig geprüfte Auffangstationen. Dadurch werden Privatpersonen nicht mit ihren Fundtieren allein gelassen. Gleichzeitig ist Wildtierpflege dann lediglich Anlaufstellen mit den notwendigen Kenntnissen zur Aufzucht, Pflege, medizinischen Versorgung und Auswilderung vorbehalten. Diesen Auffangstationen müssen ausreichende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um ihre Arbeit gut machen zu können. Tierschutzorganisationen, die nicht von medialer Reichweite abhängig sind, werden eher dazu animiert, seriöse Beiträge mit tatsächlichem Mehrwert zu verfassen.
  • Um die Arbeit von Wildtierauffangstationen zu verbessern, ist entsprechend finanzierte Forschung wichtig. Nur mit einer Erfolgskontrolle der Pflege und Auswilderung ist es möglich, langfristig gute Arbeit zu leisten.
  • Plattformen zum Wissens- und Erfahrungsaustausch rund um das Thema Wildtierpflege befürworten wir. Sie sollten jedoch nicht öffentlich, sondern mit Logindaten und nach Überprüfung eines entsprechendem Sachkundenachweises zugänglich sein.
  • WildtierpflegerInnen und TierärztInnen muss neben der fachgerechten Betreuung der Pfleglinge wichtig sein, nach außen hin zu vermitteln, dass Wildtiere nicht gleich zu behandeln sind wie Haustiere: Sie haben nur mit einer natürlichen Scheu vor Menschen und Haustieren eine Überlebenschance in Freiheit. Postings, die tatsächliche Aufklärungsarbeit leisten, müssen präsenter sein als niedliche Tierfotos.
  • Behörden sind dazu aufgerufen, nicht nur offizielle Anlaufstellen für Wildtiere regelmäßig zu kontrollieren, sondern auch Internetplattformen zu durchforsten und einzuschreiten, wenn es notwendig ist.
  • Jeder von uns ist ein Zahnrad, das die Mühlen der Veränderung zum Mahlen bringen kann. Daher fordern wir auch JournalistInnen und LeserInnen zum kritischen Hinterfragen von Inhalten auf. Nicht alles, was nett aussieht, zeugt von Kompetenz. Auch sympathische, einfühlsame Personen mit den besten Intentionen können Methoden praktizieren, die nicht vertretbar sind.

Zukunft der Wildtierpflege

Gemeinsam mit allen anderen Auffangstationen, Tierarztpraxen und Pflegestellen setzen wir die Maßstäbe und Standards, an denen wir gemessen werden. Unsere Arbeitsweise beeinflusst, ob Wildtierpflege jemals einen ernstzunehmenden Stellenwert bekommt, oder es beim „Päppeln“ von niedlichen Tierkindern bleibt.

Bildquellen:

https://www.n-tv.de/panorama/Hund-Killer-rettet-Eichhoernchen-Baby-article15775421.html, Stand: 22.11.2019
http://i.imgur.com/wka6jql.jpg, Stand: 22.11.2019
https://www.real-fix.com/animals/woman-who-rescued-baby-crow-says-it-watches-tv-with-her-comes-when-called-and-is-learning-to-talk/, Stand: 26.11.2019