Über das Winterschlafgewicht der Igel

Junger Igel - Wildtierhilfe Wien

Der Herbst ist da: Die Tage sind noch warm, die Nächte werden bereits kalt. Die Zeit des großen Schlemmens ist angesagt, denn wer den Winter überleben will, muss gut vorbereitet sein. Die einen Tiere füllen nun ihre Futtervorräte auf (zum Beispiel Eichhörnchen), um bei Nahrungsknappheit davon zehren zu können, wieder andere, wie etwa Igel, fressen, bis sie kugelrund sind, um genügend Energiereserven für mehrere Monate Winterschlaf zu haben. Durch das Angebot von artgerechter, kalorienreicher Nahrung können wir Menschen ganz einfach dabei mithelfen, Igeln ein Überleben der kalten Jahreszeit zu ermöglichen.

Winterschlaf bei Igeln

Der Winterschlaf bei Igeln ist primär von der Temperatur abhängig. Ab 12-6°C fallen die Tiere in einen Dämmerschlaf. Bleibt die Temperatur mehrere Tage konstant bei ca. 6°C, wird die Nahrungsaufnahme eingestellt und der Verdauungstrakt entleert, um zu verhindern, dass im Darm verbliebene Nahrung zu faulen und zu gären anfängt: Der Winterschlaf beginnt. Steigt die Umgebungstemperatur wieder an, kommt es vor, dass die Igel wieder aufwachen und fressen. Gefährlich wird es, wenn sie sich lange Zeit im Dämmerschlaf befinden, in dem sie noch nicht zur Nahrungsaufnahme fähig sind, aber bereits wieder mehr Energie verbrauchen. Anders als Säugetiere, wie der Siebenschläfer, der über ein dickes Fell verfügt, ist der Igel durch sein Stachelkleid nur eingeschränkt zur Wärmeisolierung während des Winterschlafs fähig. Die Lösung für dieses Problem stellt ein vom Igel gebautes Nest aus trockenem Laub und Gras dar, das eine konstante Temperatur von etwas über 0°C im Inneren ermöglicht. Eine Untersuchung des Zoologen Dr. Pat Morris zum des Winterschlafs Europäischer Weißbrustigel kam zu dem Ergebnis, dass für die Qualität des Winterschlafs nicht nur die Fettschicht des Igels, sondern auch die für das Nest verwendeten Materialien, so wie die individuelle Fähigkeit des Igels, ein perfektes Nest zu bauen, entscheidend sind. Die erhöhte Sterblichkeitsrate von Jungigeln führt Morris auf mangelnde Erfahrung beim Nestbau zurück.

Fett für den Winter – Igel richtig zufüttern

Igel sind Insektenfresser, deren Verdauungstrakt auch eine verhältnismäßig hohe Toleranz gegenüber pflanzlicher Nahrung aufweist. Gelegentlich wird auch fleischliche Kost verzehrt. Aufgrund dessen wird manchmal behauptet, dass Igel Allesfresser wären. Allesfresser und Pflanzenfresser (ausgenommen Wiederkäuer) zeichnen sich allerdings durch einen vergrößerten Blinddarm aus, welcher in der Lage ist, die kompliziert zu verdauuende pflanzliche Kost zu fermentieren. Igel besitzen keinen Blinddarm, weswegen die Nahrung den Darm sehr schnell passiert und pflanzliche Nahrung nicht optimal verdaut werden kann. Igel erfreuen sich also besonders an lebenden Futterinsekten (zum Beispiel Zophobas wegen ihres besonders hohen Fettgehalts), die im Zoofachhandel erworben werden können. Des Weiteren wird auch Katzenfutter bzw. Hundefutter (nass oder trocken, aber mit Wasser angefeuchtet) gerne angenommen, wobei auf einen besonders hohen Fleischanteil geachtet werden sollte (> 30%). Das Futter sollte darüber hinaus keinen Zucker beinhalten! Zusätzlich kann eine flache Schüssel mit Wasser angeboten werden. Wer sicherstellen möchte, dass das Futter im Magen des Igel landet und nicht etwa das Bäuchlein einer Katze füllt, die das gratis Buffet entdeckt hat, kann über das Futter noch Insektenschrot (also getrocknete Insekten, erhältlich beim gut sortierten Zoofachhandel) streuen und die Mischung vermengen. Im Zoofachhandel werden auch einige Igelfuttermischungen angeboten. Wir haben bereits mehrere Sorten getestet und können bisher leider kein Igelfutter weiterempfehlen. Getreide, Obst, Gemüse oder Milchprodukte stehen hingegen nicht am Speiseplan und sollten nicht angeboten werden.

Winterschlafgewicht: Welche Igel brauchen Hilfe?

So viel steht fest: Junge Igel mit geringem Gewicht haben es schwerer, durch den Winter zu kommen. Ab wann Igel als zu klein und zu mager gelten, ist ein Thema, bei dem die Meinungen stark auseinander gehen. Zum Winterschlafgewicht gibt es zahlreiche Studien; die meisten davon kommen zu dem Ergebnis, dass das absolute Minimalgewicht zwischen 400 und 500g anfangen sollte. Die Wildtierhilfe Wien vertritt die Ansicht, dass Jungigel ein Novembergewicht von 600g aufweisen sollten, um gut durch den Winter zu kommen. Zusätzlich ist es sinnvoll, sich die Statur des Igels anzuschauen. So ist 600g für einen kleinen Jungigel ein gutes Gewicht. Ein erwachsener Igel kann hingegen durchaus 1kg oder mehr Gewicht aufweisen – mit 600g wäre ein solcher sehr mager. Wie erkennt man also am einfachsten, ob ein Igel stattlich oder zu dünn ist? Ein gesunder, dicker Igel weist – von oben betrachtet – eine tropfenförmige oder kugelige Statur auf. Die Haut geht bei vorsichtigem Hochziehen der Stacheln sofort wieder in ihre ursprüngliche Position zurück. Ein abgemagerter Igel hingegen sieht – von oben betrachtet – an den Flanken eingefallen aus und zeigt eine längliche Statur. In besonders schlechtem Zustand sind die Augen sehr klein, die Haut lässt sich hochziehen und bleibt in dieser Position stehen oder geht nur langsam zurück.

Igel aufnehmen – im September/Oktober?

Igel beim Nestbau - Wildtierhilfe WienEs ist uns sowohl ein Anliegen, hilfsbedürftige Igel aufzunehmen, als auch das voreilige Mitnehmen von gesunden Igeln zu vermeiden. Bereits im September und Oktober aufgenommene Igel benötigen i.d.R. noch mehrere Monate Pflege, bevor sie in den Winterschlaf gehen können. Während der Pflege gewöhnen sich die Tiere an die neue Umgebung und die dort vorherrschende Raumtemperatur. Die anschließende Auswilderung bei spätherbstlichen, kalten Temperaturen – in einem dem Igel möglicherweise unbekannten Revier – halten wir für ungeeignet. Deshalb werden solche Tiere i.d.R. künstlich eingewintert und im Frühjahr unter kontrollierten Bedingungen wieder ausgewildert. Damit verbunden ist nicht nur ein großer Aufwand für die PflegerInnen, sondern auch Stress für die betroffenen Igel (z.B. durch Umgebungswechsel, Temperaturänderungen). Wir möchten daher nur solche Tiere aufnehmen, deren Pflege absolut notwendig ist. Denken Sie daran, dass auch die Möglichkeit besteht, den Tieren draußen in ihrer gewohnten Umgebung zu helfen, anstatt die Igel hereinzunehmen. Sie können Igel im Garten zufüttern, Igelhäuschen aufstellen und Ihren Garten igelfreundlich gestalten, wodurch die Suche nach einem Winterschlafquartier für die stacheligen Gäste erleichtert wird.

Diese Igel brauchen bereits im Frühherbst Hilfe:

  • Verletze oder kranke Igel: Taumelt der Igel, liegt er in Seitenlage da, oder fühlt er sich kalt an? Hören Sie Atemgeräusche? Entdecken Sie Fliegenmaden oder eine Verletzung? Solche Igel sollten ehestmöglich einem Tierarzt vorgestellt bzw. zu einer Wildtierauffangstation gebracht werden.
  • Verwaiste Igel: Es passiert zwar nicht besonders häufig, dennoch können im September durchaus noch nackte Igelbabys vorkommen. Nackte, blinde Igelbabys, die außerhalb des Nests aufgefunden werden, sollten unverzüglich (aber langsam!) auf Körperwärme aufgewärmt werden und benötigen weitere Pflege. Handelt es sich um einen handtellergroßen bis zu 200g schweren Igel, wird dieser ebenfalls noch gesäugt und sollte sich in der Nähe der Mutter befinden. Wird diese nicht gleich gesichtet, empfpiehlt es sich, bis zu zwei Stunden abzuwarten, ob diese noch auftaucht. Ist keine Mutter auffindbar, handelt es sich um ein verwaistes Igelkind, das in Pflege genommen werden sollte. Halten Sie in beiden Fällen nach evt. verwaisten Geschwistern Ausschau! Da Igelkinder Gesellschaft von Gleichaltrigen benötigen, ist es sinnvoll, eine Wildtierauffangstation zu kontaktieren.
abgemagerter Igel

Ein abgemagerter Igel, erkennbar an den eingefallenen Flanken und dem spitzen Gesicht. Normalerweise gehen Kopf und Körper nahtlos ineinander über, bei einem mageren Igel ist aber eine kleine Einbuchtung (Hals) zwischen Kopf und Körper erkennbar. (Bildquelle: Finderin Manuela Steif)

Folgende Igel benötigen keine Hilfe:

  • Gesunde, erwachsene Igel
  • Igelkinder bis zu einem Gewicht von (knapp unter) 200g mit Mutter.
  • Gesunde Jungigel ab einem Gewicht von 200g aufwärts. Nur wenige Igel überleben das erste Lebensjahr. Lange wurde angenommen, dass spätgeborene Igel, wie etwa solche aus einem zweiten Wurf, im Winter besonders schlechte Überlebenschancen hätten, da ihnen weniger Zeit bliebe, sich die nötigen Fettreserven anzufressen. Laut einer britischen Studie wachsen genau solche Herbstigel besonders schnell im Vergleich zu früher geborenen Igelkindern. Es gibt also Grund zur Annahme, dass auch Spätgeborene es im Frühherbst schaffen können, sich rechtzeitig ein gutes Winterschlafgewicht anzufressen. Gerade wenn die Böden noch nicht gefroren sind, ist es für sie ein Leichtes, ein ausreichendes Angebot an Insekten zu finden. Haben Sie also Jungigel im Garten, können Sie durch das Anbieten von Futterstellen eine schnelle Gewichtszunahme unterstützen. Sollte es bereits im Oktober konstante Winterschlaftemperaturen geben oder im November das Winterschlafgewicht noch immer nicht erreicht worden sein, kann man immer noch überlegen, den Igel in Pflege zu nehmen.

Einen detaillierten Notfallsleitfaden zu gefundenen Igeln finden Sie hier. Sollten Sie sich dennoch unsicher sein, ob Ihr Igel Hilfe benötigt oder nicht, geben wir auch gerne telefonische Auskunft.

Quellen:

  • AL-BADRY KS, TAHA HM (1982): Hibernation hypothermia and metabolism in hedgehogs—Changes in free amino acids and related compounds. Comparative Biochemistry and Physiology 72A: 541-547.
  • BUNNELL T (2009): Growth rate in early and late litters of European hedgehog (Erinaceus europaeus). Lutra 52 (1):15-22.
  • JENSEN A (2004): Overwintering European hedgehogs Erinaceus europaeus in a Danish rural area. Acta Theriologica 49 (2):145- 55.
  • MORRIS P (1973): Winter nests of the hedgehog (Erinaceus europaeus L.). Oecologia 11 (4): 299-313.
  • REEVE N (1996): Hedgehogs (1. Auflage). London: Poyser.
  • WALHOVD H (1990): Records of young hedgehogs (Erinaceus europaeus L.) in a private garden. Zeitschrift für Säugetierkunde, 55 (5): 289-297.
  • WARWICK H, MORRIS P, WALKER D (2006): Survival and weight changes of hedgehogs (Erinaceus europaeus) translocated from the Hebrides to Mainland Scotland. Lutra 49 (2): 89-102.