Geplante EU-Arzneimittelverordnung mit verheerenden Folgen

Mit der geplanten EU-Arzneimittelverordnung soll lebensrettenden Tierarzneimitteln die Zulassung entzogen werden.

Nach reiflicher Überlegung äußern wir uns einmal zu der geplanten EU-Arzneimittelverordnung, die im Jänner 2022 in Kraft treten soll. Wird diese so umgesetzt, ist die medizinische Behandlung in Not geratener Wildtiere in vielen Fällen nicht mehr möglich.

Grob gesagt verfolgt die EU-Arzneimittelverordnung das Ziel, einen maßvollen Einsatz von Tierarzneimitteln, deren Wirkstoffe auch für die Humanmedizin von Relevanz sind, zu gewährleisten. Reserve-Antibiotika sollen Menschen vorbehalten werden, um damit die Gefahr für Resistenzentwicklungen zu reduzieren. So weit so gut.

Keine Zulassung für lebensrettende Tierarzneimittel

Leider wurde aber ein evidenzbasierter Vorschlag der Kommission seitens der Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des EU-Parlaments (ENVI) als unzureichend abgelehnt und ein Gegenantrag vorgelegt, dessen Umsetzung verheerende Folgen hätte. Der Gegenantrag fordert “… to reserve highest priority critically important antimicrobials (HPCIA) for human use only.” Kurz gesagt würde das bedeuten, dass viele notwendige und lebensrettende Tierarzneimittel nicht mehr verwendet werden könnten, da diesen die Zulassung für den veterinärmedizinischen Einsatz entzogen werden soll.

Eingeschränkte Therapiemöglichkeiten auch für Haustiere

Das häufige Argument von Befürwortern dieser Regelung, damit die prophylaktische Antibiotikabehandlung von Tieren zu unterbinden, wollen wir gleich vorweg aufgreifen. Die prophylaktische oder übermäßige/unnötige Gabe von Antibiotika ist – besonders bei lebensmittelliefernden Tieren – an sich schon durch Arzneimittelgesetze und Rückstandsverordnungen eingeschränkt, bzw. verboten. Aber natürlich gibt es immer wieder schwarze Schafe, welche sich nicht daran halten und damit zur Resistenzentwicklung beitragen.

Um es noch deutlicher auszudrücken: Es geht hierbei eben keineswegs um eine Einschränkung der oft kritisieren Antibiotikaprophylaxe. Denn es wird nicht zwischen lebensmittelliefernden Tieren und Haustieren unterschieden, sodass nicht nur Landwirte, sondern auch Haustierbesitzer davon betroffen sind. Der Einsatz einiger Wirkstoffe wird einfach nicht mehr möglich sein, und somit wird Haus-, Nutz- und Wildtieren gleichermaßen der Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung verwehrt. Dies entspricht nicht unserer Auffassung von Tierschutz, egal ob es um den Hund, Katze, Schwein oder Kohlmeise geht, die dasselbe Anrecht auf eine wirksame Behandlung haben.

Behandlung von Wildtieren nicht mehr möglich

Bisher kam in der Debatte auch die Situation von Wildtierauffangstationen viel zu kurz. Wildtierauffangstationen sind europaweit häufig gemeinnützige Organisationen, die nicht mit öffentlichen Geldern, sondern vordergründig spendenfinanziert arbeiten. Mit den folglich äußerst limitierten finanziellen Ressourcen kümmern sich diese Organisationen um die medizinische Versorgung, Rehabilitation und Auswilderung von Wildtieren. Fast alle Tierarzneimittel haben nur eine Zulassung für Haus- und Nutztiere. Für Wildtiere gibt es bloß eine handvoll verfügbarer Arzneimittel. Somit besteht immer ein Therapienotstand und die Notwendigkeit der Umwidmungskaskade von Medikamenten. Noch dazu zählen viele Patienten zu den lebensmittelliefernden Tieren, für welche der Einsatz von Tierarzneimitteln ohnehin bereits streng geregelt ist. Viele Arzneimittel dürfen, unabhängig von der Wirksamkeit und Notwendigkeit, aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (VO Nr. 37/2010) auch jetzt schon nicht eingesetzt werden. Ein Beispiel hierfür wäre der Einsatz von Spartrix (Wirkstoff Carnidazol, ein Nitroimidazol) für die Behandlung von Trichomonaden bei Ringeltauben.

Euthanasie als letzte Hilfe

Wildtiere werden häufig erst dann von Menschen aufgefunden, wenn ihr Leben nur mehr an einem seidenen Faden hängt. Sie kommen aufgrund schwerer, lebensbedrohlicher Verletzungen, Krankheiten oder Parasitosen in Pflege, die sofortiges Handeln erfordern. Nach §15 TischuG hat jedes kranke oder verletzte Tier Anrecht auf eine unverzügliche, ordnungsgemäße medizinische Versorgung. Weitere Einschränkungen von Tierarzneimitteln führen dazu, dass lebensrettende Sofortmaßnahmen nicht mehr möglich sind. Eigentlich einfach zu behandelnde Krankheiten bedeuten damit für die betroffenen Tiere den Tod und folglich wäre Euthanasie die einzig mögliche “Hilfe”.

Zoonoserisko für Mitarbeiter

Daraus folgt weiters, dass potenziell auf den Menschen übertragbare und oft recht unkompliziert therapierbare Infektionskrankheiten (Zoonosen wie Salmonellen, EHEC) nicht rasch behandelt werden können. Das stellt ein unnötiges Risiko für unsere (ehrenamtlichen!) Mitarbeiter dar, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in engem Kontakt mit den Tieren arbeiten, aber im Grunde auch für die Gesamtbevölkerung. Anstatt Monitoring und Datensammlung über den Gesundheitszustand von Wildtieren im Sinne des One Health Ansatzes zu fördern werden Anlaufstellen, die sich eigentlich um den Schutz und den Erhalt von Wildtierpopulationen kümmern, durch die geplante EU-Arzneimittelverordnung zwangsläufig zu Einschläferungsfabriken degradiert.

Wildtierpflege im „Hinterzimmer“

Keinesfalls möchten wir mit diesem Beitrag bestehende Probleme im Umgang mit Arzneimitteln kleinreden. Wir erfahren selbst nahezu täglich, wie fahrlässig mit Tierarzneimitteln bei der Behandlung von Wildtieren umgegangen wird. Ohne jegliche tierärztliche Verschreibung, geschweige denn Diagnose, werden z.B. Igeln Spot-ons aufgetragen, die sie für ein paar Tage ins Koma befördern. So ein Vorgehen ist zu verurteilen, aber bereits jetzt verboten. Eine Einschränkung von lebensrettenden Wirkstoffen trifft aber nicht diejenigen, die ohnehin auf Vorschriften pfeifen. Es hält niemanden davon ab, Medikamente aus der eigenen Hausapotheke für Wildtiere zu verwenden. Das einzige, was passiert ist, dass Tierärzte und Tierpfleger ihren Patienten nicht mehr rechtzeitig helfen können. Je weniger Handlungsspielraum offiziellen Anlaufstellen, die sich an alle Vorschriften halten müssen, bleibt, desto häufiger wird die Pflege streng geschützter Wildtiere inoffiziell in Privathänden stattfinden, wo die Einhaltung diverser Vorschriften kaum überprüft werden kann.

Im September wird abgestimmt, wie es nun weitergeht. Wir sind gespannt.

Quellen:

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:OJ.L_.2019.004.01.0043.01.DEU&toc=OJ:L:2019:004:TOC

https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:4466fe29-be0b-11eb-8aca-01aa75ed71a1.0007.02/DOC_2&format=PDF

https://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/ENVI/DV/2021/07-12/RE_Objection_DA_antimicrobials_2021_EN.pdf

Diverse Stellungnahmen:

Österreichische Tierärztekammer: https://www.tieraerztekammer.at/oeffentlicher-bereich/medien-kommunikation/news/detail/newsarticle/detail/News/presseaussendung-eu-entscheidet-demnaechst-ueber-antibiotikaverbot-bei-nutz-und-heimtieren

Deutscher Tierärzteverband: https://www.tieraerzteverband.de/bpt/presseservice/meldungen/2021_08_30_klarstellung-politiker-ab-verbot.php

Deutscher Tierschutzbund: https://www.tierschutzbund.de/news-storage/europa/160821-drohendes-eu-antibiotikaverbot-tierschutzbund-unterstuetzt-kampagne-des-bundesverbands-praktizierender-tieraerzte/

Petition:

https://www.change.org/p/europ%C3%A4ische-parlament-eu-will-weitreichendes-antibiotikaverbot-f%C3%BCr-tiere-gefahr-f%C3%BCr-unsere-tiere?fbclid=IwAR3bQTOhnzICrxJF73orbA73xeqgX8N2ICwrO17eAkmorK3PWgbNThLCWSo